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Second Thoughts – Michaela Schwarz-Weismann 

Thomas Mießgang

Fünf Menschen, fünf Serien, fünf Lebensausrisse in höchster Verdichtung. Für die Ausstellung „Second Thoughts“ hat sich die Malerin Michaela Schwarz-Weismann mit fünf Frauen auseinandergesetzt, die den Diskurs, die Politik, die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und die (pop)kulturellen Szenarien des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltet haben: die Philosophinnen Simone de Beauvoir und Hannah Arendt, die ´Black Power`- Aktivistin Angela Davis, die Filmemacherin Agnés Varda und afroamerikanische Poetin und Musikerin Camae Ayewa, die ihre öffentlichen Auftritte unter dem Pseudonym Moor Mother bestreitet.

Der ästhetische Annäherungsprozess der Künstlerin ist ein sehr spezifischer: Sie wählt aus Filmdokumenten, bei denen die jeweilige Person im Zentrum steht und in Großaufnahme zu sehen ist, eine Sekunde aus, die sie wiederum in jene 24 Frames teilte, welche bei kontinuierlichem Ablauf das Bewegtbild konstituieren. Die mit Ölfarben auf Leinwand gemalten und dann aufkaschierten vignettenhaften Porträts ergeben so fünf Serien, in denen unterschiedliche Frauentypen mit ihrer jeweiligen typischen Mimik zu sehen und zu erleben sind. Es ist ein Vexierspiel, das die Dialektik von Ähnlichkeit und Differenz auskostet und zwischen der Repetitionslogik mechanischer Aufzeichnungsmedien und dem variativen Reichtum individueller künstlerischer Appropriation vermittelt. Ähnliche Transformationsästhetiken gab es auch schon beim malerischen Hyper- oder Fotorealismus oder bei den ´unscharfen` Bildern von Gerhard Richter. Doch bei Michaela Schwarz-Weismann kommt noch ein Moment der ´Uncannyness` hinzu, das den Bildern eine ganz eigene, ganz eigenartige Signatur verleiht: Durch den Freezeframe einzelner Kader aus einem Laufbild-Szenario werden Gesichtsausdrücke, die sich in Millisekunden verändern, gewissermaßen für die Ewigkeit stabilisiert. Dadurch sind mimische Spezifika, ja, in der Mimik verankerte Charaktereigenschaften, die sonst unbemerkt flüchtig vorbeihuschen würden, plötzlich erkennbar und gestatten, nicht völlig unähnlich den ´Charakterköpfen` von Franz Xaver Messerschmidt, die Entbergung und psychologische Interpretation von Persönlichkeitsdispositionen, ohne die Figuren ihres Geheimnisses zu berauben. „Ich empfinde das, was ich mache, manchmal als geradezu grenzüberschreitend,“ sagt Michaela Schwarz-Weismann. „Man kommt einem Menschen extrem nahe, wenn man so hineinzoomt und im Gesicht herumspaziert, immer und immer wieder.“ Drei der prominenten Porträtierten würden ja nicht mehr leben: „Doch in bezug auf Angela Davis hatte ich wirklich Hemmungen. Ich habe mich auch gar nicht getraut, ihr die Motive zu schicken.“

Da es sich bei den visuellen Dokumenten um Tonfilme handelt, geht jede Serie auch mit einem sprachlichen Mikro-Ausriss aus einem größeren diskursiven Zusammenhang einher.

Sie habe bei jeder Porträt-Sequenz lange nach einem Wort, einer Begrifflichkeit gesucht, das sich an den Lebenszusammenhang, die Philosophie und die vitale Energie der jeweiligen Person anschmiegen würde. Im Falle von Simone de Beauvoir war dies „trés souple“, eine semantische Prägung, die Flexibilität und Elastizität suggeriert und die Beauvoir benutzte, um ihre unorthodoxe Beziehung zu Jean-Paul Sartre zu charakterisieren. Angela Davis spricht in der Sekunde, die aus einem größeren intellektuellen Kontext gelöst wurde, das Wort „constantly“ aus, das, wie in einem Loop gefangen, darauf verweist, dass die Probleme, die 1973 und auch schon in den sechziger Jahren für sogenannte ´Rassenkrawalle` verantwortlich waren, auch heute noch ungelöst sind.   Hannah Arendt präsentiert sich mit „of course not“ als Geist der (stets?) verneint. Bei Agnés Varda („Le temps qui bouge pas“ – die Zeit, die sich nicht bewegt) und bei Moor Mother („Moving in circular times“) geht es um Zeit, die stillsteht oder um zyklische temporale Modelle, die sich den oppressiven Teleologien entziehen und näher am Mythos respektive dem Ritual angesiedelt sind. „If you are not a myth whose reality are you? If you are not a reality whose myth are you?” hat der große Afrofuturist Sun Ra und somit ein geistiger Vorgänger von Moor Mother einmal gesagt und damit die Dialektik von Realität und Phantasma als alternativen Weltentwurf ins Spiel gebracht. 

Die Worte, die in der Malerei von Michaela Schwarz-Weismann nicht zu hören sind, können aufgrund der Lippenbewegungen bestenfalls erraten/rekonstruiert/poetisch imaginiert werden. So rankt sich um die Porträts noch eine weitere Bedeutungsschicht, welche die Figuren nicht einengt, sondern,

im Gegenteil, neue Begriffs- und Assoziationsfelder aufschließt. Es sei ihr im Dialog mit einem technischen Aufzeichnungsmedium nicht darum gegangen, Ähnlichkeiten / Identitäten / Übereinstimmungen zu produzieren, erläutert die Künstlerin, sondern sich selbst, ihr Leben und ihr Tun, ihre Befindlichkeit und ihre Tagesverfassung in die Werke einzuschreiben. So erschafft sich ein ästhetisches Paradoxon: Fünf künstlerische /politische Existenzen werden, wie durch ein Brennglas betrachtet, auf einen Moment der Kürze und der größten Intensität zusammengedrängt, während sich im Prozess der malerischen Aneignung dieser Nullpunkt des Seins zu einem existentiellen Paradigma ausfaltet.
Die Künstlerin wird zum Medium, zum visuellen Filter, durch die Bilder hindurchfließen, um dann in der Simultaneität von Zeitverknappung und Zeitextension einen Kataklysmus der visuellen Exuberanz zu beschwören. Und wenn dann die jeweils 24 Ölbilder am Schluss in einer Art Stop-Motion-Video wieder zum Laufen gebracht werden, schließt sich ein Kreis und die Contemplatio bei der Betrachtung eines Gemäldes wandelt sich in die Repetitio des im Loop sich wiederholenden Laufbildes, die eine tranceartige Erregung mit sich bringt. 

In einem Gedicht von Rainer Maria Rilke heißt es:

„Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem?“

 
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